Liza Pflaum, Politikwissenschaftlerin und Campaignerin, ist Gründungsmitglied des Vereins United4Rescue und Mitbegründerin der Seebrücke-Bewegung, wo sie hauptamtlich tätig ist. Sie war vor kurzem mit dem Bündnis Mauerfall.jetzt in der Grenzregion zwischen Polen und Belarus. Unsere europapolitische Sprecherin Madeleine Henfling war mit ihr im Gespräch über die aktuelle Situation an der polnischen Außengrenze, über die Festung Europa und darüber, was die Europäische Union und Deutschland tun sollte, um den Menschen vor Ort zu helfen.
Sie waren kürzlich mit einem Hilfskonvoi vor Ort, um Schutzsuchenden an der polnisch-belarussischen Grenze Hilfsgüter und Winterkleidung zu bringen. Wie kam es dazu und was haben Sie vor Ort beobachtet, was haben Sie erlebt?
Nachdem sich die Lage mehrere Wochen immer weiter zugespitzt hat, haben wir uns entschieden an die polnisch-belarussische Grenze zu fahren, um zum einen dringend benötigte Sachspenden an Hilfsorganisationen zu übergeben und zum anderen aktiv der Bundesregierung anzubieten, Menschen nach Deutschland in Sicherheit zu bringen.
In diesem Zuge haben wir vor unserer Abreise an das Bundesinnenministerium geschrieben und um eine Erlaubnis gebeten, schutzsuchende Menschen mit unserem Bus zurück mit nach Deutschland zu bringen. Leider haben wir trotz der dramatischen Lage keine Antwort erhalten.
Das Grenzgebiet ist hochmilitarisiert und es wurde eine drei Kilometer lange Sperrzone auf der polnischen Seite eingerichtet, in die weder Hilfsorganisationen noch Journalist*innen hineinkommen. Wir haben uns vor Ort mit Menschen aus der polnischen Zivilgesellschaft sowie Unterstützungsstrukturen unterhalten und schreckliche Geschichten gehört. Wie z.B. Menschen einfach im Wald erfrieren oder Familien mit kleinen Kindern mehrmals illegal zurück nach Belarus gepushed wurden.
Wie dramatisch ist die aktuelle Lage in Belarus? Was passiert auf polnischer Seite und was auf der belarussischen Seite?
Die Lage ist sehr dramatisch. Seit Wochen sitzen jetzt tausende Menschen im Niemandsland an der Grenze fest und können weder nach vorne noch zurück. Erst vor vier Tagen ist ein 30-jähriger Mann im Wald in seinem Schlafsack erfroren. Ebenfalls werden die Menschen von polnischen Grenzpolizist*innen geschlagen und gewaltvoll zurück nach Belarus gedrängt. Das ist ein klarer Rechtsbruch und verstößt gegen das europäische Asylrecht.
Um wie viele Menschen geht es konkret? Welche Schicksale stecken dahinter? Aus welchen Gründen haben sich die Menschen auf den Weg nach Belarus gemacht?
An der Grenze befinden sich etwa 2.000 Menschen. Also eigentlich eine sehr kleine Zahl und in diesem Hinblick komplett lächerlich, dass Deutschland und die EU diese Menschen nicht unverzüglich aufnimmt. Es sind viele Familien und auch Kinder vor Ort. Die meisten Menschen kommen aus Krisen- und Kriegsgebieten wie dem Irak oder Afghanistan. Derzeit gibt es keine sicheren und legalen Wege nach Europa. Das ist eben auch der Grund, warum Menschen sich entschieden haben, diesen Weg zu gehen. Sie sind verzweifelt und suchen für sich und ihre Familien eine sichere Zukunft.
Immer wieder wurde in der Vergangenheit über illegale Zurückweisungen, sogenannte Push-Backs, an den Außengrenzen Europas berichtet. Bisher fand das eher im Verborgenen statt, da diese gegen die Flüchtlingskonvention verstoßen und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte massiv missachten. An der polnischen Außengrenze finden – unter den Augen der Öffentlichkeit – Push-Backs statt.
Erleben wir eine neue Dimension der Festung Europa?
Ja, wir erleben tatsächlich eine neue Dimension der Abschottungspolitik in der Europäischen Union. Menschenrechte werden vor laufenden Kameras und ganz offensichtlich gebrochen. Das sollte uns alle wachrütteln, denn es ist ein weiterer Schritt in eine Richtung, die meiner Meinung nach höchst gefährlich ist. Derzeit besteht die Sorge, dass nun versucht wird, diese illegale Praxis der Zurückweisungen auf europäischer Ebene zu legalisieren. Das würde dann eben bedeuten, dass Staaten ganz legal mit Gewalt hilfesuchende Menschen zurückdrängen und einsperren dürfen. Mich persönlich macht das fassungslos und ich denke, es ist auch eine massive Gefahr für die Demokratie.
Was sollte die Europäische Union, was sollte Polen und was sollte Deutschland in der gegenwärtigen Situation unternehmen, um den Menschen vor Ort zu helfen?
Im ersten Schritt sollten die Menschen sofort aufgenommen werden, wenn sich keine anderen Länder finden, dann eben auch allein durch Deutschland. Das ist locker zu schaffen, allein in Deutschland haben über 300 Städte und Kommunen gesagt „Wir haben Platz“ und „Wir wollen mehr Menschen aufnehmen“. Und darüber hinaus braucht es endlich legale und sichere Wege nach Europa und eine Reform des europäischen Asylsystems, die sich an den Rechten der fliehenden Menschen orientiert.
Wie arbeitet Ihre Organisation?
Wir von der Seebrücke und dem Bündnis Mauerfall.jetzt machen mit Aktionen und Kampagnen auf die unhaltbaren Zustände an den europäischen Außengrenzen aufmerksam und setzen die Politik unter Druck. Wir denken, es darf jetzt nicht weggeschaut werden, sondern jede einzelne Person hat die Verantwortung sich gegen Menschenrechtsverletzungen aufzulehnen und die Stimme zu erheben.
Was treibt Sie an, sich immer wieder zu engagieren?
Für mich ist es keine Option mich nicht zu engagieren. Ich möchte meinen kleinen Beitrag dazu leisten, unsere Gesellschaft vielleicht etwas gerechter und humaner zu machen.