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Selbstverwaltete Autonomie braucht Mitbestimmung aller Beteiligten

Zur Zeit befindet sich das Thüringer Hochschulgesetz in der schriftlichen Anhörungsphase. Für den 18. Januar wurde außerdem eine mündliche Anhörung beschlossen. In diesem Zuge haben einige Hochschullehrer*innen einen „Erfurter Aufruf“ initiiert, in dem sie ihre Bedenken an das neue Hochschulgesetz formulieren. Darauf erwidern die wissenschaftspolitischen Sprecher*innen der Koalitionsfraktionen in einem öffentlichen Schreiben (als Download verfügbar) an die Initiatoren.

 

Sehr geehrter Herr Prof. Blanke,

sehr geehrter Herr Prof. Gürlebeck,

mit Interesse haben wir Ihren „Erfurter Aufruf anlässlich der Reform des Thüringer Hochschulgesetzes“ zur Kenntnis genommen. Nach Ihrer Auffassung unterliegen die drei Regierungsfraktionen mit Blick auf die laufende Novellierung des Thüringer Hochschulgesetzes (ThürHG) drei „gravierenden Irrtümern“, die „weitgehend zu einer Verschlechterung der Situation der Thüringer Hochschulen führen und sie in ihrem bundesweiten sowie internationalen Wettbewerb um ,kluge Köpfe‘ ärmer machen“ wird. Ein beachtlicher Einwand — wenn er denn zutrifft. Wir möchten Ihnen gerne im Sinne einer notwendigen und ehrlichen Debatte unsere Positionen mit Bezug auf Ihre Aussagen erläutern.

Autonomie oder Autokratie?
Sie eröffnen Ihren Aufruf mit der Feststellung, dass die laufende ThürHG-Novelle „die Auto-nomie der Thüringer Hochschulen weiter einzuschränken“ droht. Sie würdigen dabei leider in keiner Weise die Fortschritte im Bereich der Autonomie, welche der Gesetzentwurf bein-haltet: Die Übertragung der Bauherrenfunktion und die Autonomie bei allen Berufungs-schritten für die Hochschulen sowie die gesetzliche Verankerung von Globalbudgets sind wichtige Neuerungen für die Thüringer Hochschulen unter Rot-Rot-Grün.
Leider bleiben Ihre Aussagen zur bedrohten Autonomie recht unkonkret. Keiner der drei Irrtümer erläutert die Aussage näher, es sei denn, die Aussage bezieht sich auf die direkt nachgeschobene „vorgesehene Viertel- oder Drittelparität“. Doch wie soll eine Regelung der innerhochschulischen Verfasstheit und Entscheidungsfindung darauf Einfluss nehmen, wie autonom eine Hochschule vor äußeren Eingriffen ist?

Demokratisches Wissen
Der von Ihnen festgestellte Irrtum Nr. 1 fokussiert sich auf die beabsichtigte Einführung der schon erwähnten Drittel- bzw. Viertelparität. Gemäß Ihrer Einschätzung sollten die Hoch-schulgremien nicht „demokratisch-egalitäre Repräsentation“, sondern „der Einbringung des akademischen Sachverstandes“ dienen. Aufgrund ihrer Erfahrung käme demzufolge den Pro-fessorinnen und Professoren eine „herausgehobene“ Stellung zu.
Diese Interpretation ist zulässig und prägt das Selbstverständnis der meisten Hochschulge-setze seit dem 1973er Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Sie ist aber nicht zwangsläufig. Neben dem akademischen Wissen, welches die Professorinnen und Professoren unbestritten und im Regelfall vertiefter besitzen, können andere Gruppen (Erfahrungs-)Wissen haben, welches der Gruppe der Professorinnen und Professoren ggf. fehlt. Studierende erfahren tagtäglich, welche Auswirkungen gute oder schlechte Lehre auf ihre Bildung hat. Wissen-schaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leiden unter einer Prekarität ihrer Arbeitsbe-dingungen, die zumindest einem Teil der Professorinnen und Professoren nur theoretisch bekannt zu sein scheint, ganz zu schweigen von der Lebens- und Arbeitswelt des „techni-schen“ Personals. Sind es diese Erfahrungen nicht wert, angemessen repräsentiert und ge-hört zu werden? Nicht vergessen wollen wir zudem, dass wissenschaftliche Erkenntnis von allen Hochschulangehörigen getragen wird, wenn auch in einem abgestuften Verhältnis. Deshalb werden im vorliegenden Gesetzentwurf sowohl das 1973er Urteil geachtet, als auch die herausgehobene Stellung der Professorinnen und Professoren gewahrt. So wird auch in einem viertelparitätischen Senat der FSU Jena nach dem novellierten Gesetz jeder Hoch-schullehrende ca. 100 Kolleginnen und Kollegen repräsentieren dürfen, während ein studen-tischer Senator mehr als 6.000 Studierende vertritt.
Zudem lässt sich hinterfragen, ob die Ansicht aus den 1970er Jahren, nur Professorinnen und Professoren seien Trägerinnen und Träger der Wissenschaftsfreiheit, in dieser Weise weiter Gültigkeit besitzt. Oder sind die 91% der Beschäftigten ohne Professur etwa nicht wissen-schaftlich tätig? Und sollen Studierende durch die Lehre nicht auch praktisch erlernen, wie wissenschaftliches Arbeiten funktioniert? Diese Fragen lassen sich zu Recht stellen, denn in einem anderen Urteil sprach das Bundesverfassungsgericht 2014 erstmals umfassender von „Wissenschaftlern“ anstatt von „Hochschullehrern“ als Grundrechtstragenden.

Zusammenwirken oder —würgen?
Irrtum Nr. 2 sei der Glaube der Koalitionäre an die Möglichkeit der klaren Trennung von un-mittelbar und nur mittelbar Forschung und Lehre betreffenden Themen der akademischen Selbstverwaltung. Sie befürchten fortwährenden Streit zwischen den Gruppen und daraus resultierende Zeitverluste, die Wettbewerbsnachteilen gleichkämen und damit zu Frustrati-on und Blockaden aller Beteiligten führen.
Wir geben Ihnen vollkommen Recht, dass dies nicht die Intention des Gesetzgebers sein kann. Es besteht Einigkeit unter den Koalitionsfraktionen, dass an diesem Punkt das Gesetz ergänzt werden muss. Allerdings nehmen wir aus vielen Gesprächen wahr, dass die von Ihnen befürchtete Dauerblockade kein reales Szenario ist. Von den meisten Hochschulen in Thüringen wird uns berichtet, dass Gremien sehr konstruktiv zusammenarbeiten. Insbesondere dann, wenn alle Gruppen mit ihren Interessen (vorab) gehört und berücksichtigt wer-den. Wir sind der Auffassung, dass es infolge der Gesetzesnovelle tatsächlich zu einer Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Statusgruppen kommen wird, auch um lähmende Konflikte, von denen keine Gruppe profitiert, auszuschließen. Eine solche Entwicklung wäre aus unserer Sicht klar zu begrüßen.

Pure Anwesenheit oder aktive Mitarbeit?
Ihr Irrtum Nr. 3 unterstellt uns „die Einführung eines flächendeckenden Fernstudiums“. Die-se Aussage ist nicht zutreffend. Der vorliegende Gesetzentwurf bestimmt in §55 Absatz 3 klar, dass für die Frage einer pflichtigen Teilnahme die Erreichung des Lernziels der Lehrveranstaltung ausschlaggebend ist. Wenn es also, wie von Ihnen beschrieben, tatsächlich um „die gemeinsame Erarbeitung von Wissen und der Fähigkeit zum akademischen Diskurs“ geht, wäre dieses Lernziel ausschlaggebend. Die Erziehung „zu mündigen und eigenverantwortlichen Persönlichkeiten“ beinhaltet aber eben auch die Freiheit der bewussten Nichtteilnahme, für die es im Einzelfall sehr viele Gründe geben mag.‘ Hinzu kommt, dass allein die Anwesenheit nicht automatisch Mitdenken oder Mitarbeiten nach sich ziehen. In vielen Fällen berichten Studierende vom bloßen „Absitzen“ als langweilig empfundener Veranstaltungen. Ob diese Vorgehensweise der Qualität des Studiums am Ende wirklich dienlich ist oder so lediglich verbesserungsfähige Lehre gestützt wird, ist eine unbeantwortete Frage.
Aus unserer Sicht könnte eine mancherorts notwendige Diskussion über Hochschuldidaktik Lehre und Lernenden deutlich bessere Dienste leisten als eine Anwesenheitsliste.

Zum Schluss
Ihr „Erfurter Aufruf“ erfasst mit den drei genannten „Irrtümern“ nur einen Bruchteil der vor-gesehen Änderungen. Eine Autonomie, die allen Hochschulmitgliedern zugutekommen will, muss nach unserer Auffassung auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen aller in den Fokus nehmen und darf die gesellschaftliche Verankerung und Position der Hochschulen nicht ignorieren. Exzellenz, Standortpolitik und Wettbewerbsfähigkeit sind nur ein Teil der notwendigen Betrachtungsweise und können deshalb auch nur gelingen, wenn wir Verbesserungen schaffen, die die Heterogenität der Hochschulmitglieder- und angehörigen berücksichtigen. Gute Arbeit in der Wissenschaft, Geschlechtergerechtigkeit, Diversität, Zivilklauseln, die Stärkung der Senate und familienfreundlichere Regelungen, die flächendeckende Einführung der Studienkommissionen, Schritte zur stärkeren Digitalisierung, der Verzicht auf die vorgeschriebene Erstberufung auf Zeit und viele weitere Punkte werden in Ihrem Papier nicht ge-spiegelt. Wir möchten gerne glauben, dass Sie diese Fortschritte teilen, sind allerdings vor dem Hintergrund Ihrer abschließenden Aufforderung, „auf dem geltenden Thüringer Hoch-schulrecht“ aufzubauen, in diesem Punkt nicht sicher. Auch deshalb freuen wir uns auf die fortgesetzte Diskussion zu diesem prägenden Gesetz für die Thüringer Hochschullandschaft mit Ihnen und allen weiteren Interessierten.

 

Christian Schaft,
hochschulpol. Sprecher DIE LINKE im Thür. Landtag

Eleonore Mühlbauer,
hochschulpol. Sprecherin der SPD im Thür. Landtag

Madeleine Henfling,
hochschulpol. Sprecherin Bündnis 90/Die Grünen im Thür. Landtag

1 „Wenn die Universität eine Universität bleiben soll und nicht einfach eine Fachschule, dann besteht die Notwendigkeit den Studierenden Spielräume zu lassen.“ Prof. em. Gerhard Vinnai in AKRÜTZEL Nr. 371, 30.11.2017, Jena, S. 7.

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