Interview

#KLARTEXT mit Steve Richter: Als kommunalpolitisch aktiven Bürger ist das Grundrecht auf Asyl nicht verhandelbar

Steve Richter ist Gründungsmitglied des Bündnisgrünen Kreisverbandes Saale-Orla-Kreis. Hier sitzt er für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als erster grüner Mandatsträger im Stadtrat von Pößneck. Im Gespräch mit Madeleine Henfling berichtet Steve Richter davon, welche Themen ihn beschäftigen und was ihn dazu bewogen hat, in der Kommunalpolitik aktiv zu werden.

MADELEINE HENFLING: Was hat dich dazu bewegt, politisch aktiv zu werden? Gab es ein Schlüsselereignis, was dich politisiert hat?

STEVE RICHTER: Für mich gab es kein Schlüsselereignis. Schon in der Schule habe ich mich sozial und gesellschaftlich als Klassensprecher engagiert. Mit Beginn meines Studiums an der Hogeschool van Arnhem en Nijmegen (HAN) in Nijmegen in den Niederlanden, habe ich mich weiter ehrenamtlich in soziokulturellen Projekten und der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung engagiert. Als ich Anfang der 2000er Jahre zurück in Deutschland als Restaurantleiter arbeitete, erhielt ich eine Anfrage der Bündnisgrünen Thüringen. Sie wollten unsere Räumlichkeiten Mieten, um in Pößneck einen Kreisverband der Grünen im Saale- Orla- Kreis (SOK) zu gründen. Zum damaligen Zeitpunkt war der SOK der einzige Landkreis Thüringens ohne eigenen Kreisverband (KV). Meine Zeit im Ausland, egal ob England, Niederlande oder Kenia, hatte mich da schon politisch geprägt und zu einem Grünen Stammwähler gemacht. Von daher war es für mich also klar, dass ich als Gastgeber der Gründungsveranstaltung an der Du ja auch teilgenommen hast, nicht nur für das leibliche Wohl der Grünen sorgte, sondern die Chance beim Schopf packte und gleich selbst Gründungsmitglied wurde.

MADELEINE HENFLING: Du bist dann bei den Bündnisgrünen beigetreten und letztlich dann auch jetzt für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Stadtrat? Was hat dich dazu bewogen?

STEVE RICHTER: Tatsächlich war ich anfänglich, wie sehr viele in unserer Partei, eher ein stilles Mitglied. Mit der Vorbereitung zu den Kommunalwahlen wurden die Nöte kleiner Kreisverbände dann auch für mich offensichtlich. Mit den damals acht Parteimitgliedern gestaltete sich die Listenaufstellung als sehr schwierig. Für mich wie auch die anderen Mitglieder des KV war es jedoch wichtig, unsere politischen Überzeugungen nicht nur in der Grünen Blase zu besprechen, sondern diese auch in parlamentarischen Formen umzusetzen. Viele Mitglieder des KV SOK waren zu diesem Zeitpunkt aktiv engagiert im Aktionsbündnis Courage, welches sich aktiv gegen bestehende extrem rechte Strukturen in unserer Heimatstadt stellte. Dies war Grund genug, mich für Listenplatz drei auf der Stadtratsliste zu bewerben. Da sich im Verlauf der Wahl zeigte, dass ich die meisten Einzelstimmen erhielt, zog ich also für die Bündnisgrünen als erster Mandatsträger in den Stadtrat von Pößneck ein.

MADELEINE HENFLING: Aktuell sehen wir, dass verschiedene politische Akteur*innen mit verschiedenen politischen Färbungen die Flucht von Menschen nach Deutschland problematisieren. Wie bewertest Du diese Positionen aus deiner kommunalpolitischen Perspektive?

STEVE RICHTER: Für mich als kommunalpolitisch aktiven Bürger ist das Grundrecht auf Asyl nicht verhandelbar. So ist dieses Gesetz nicht nur im deutschen Grundgesetz verankert, sondern auch ein von vielen Staaten dieser Welt ratifiziertes UN- Menschenrecht. Ich möchte mich hier weniger über rassistische Positionen von politischen Hetzer*innen auslassen. Vielmehr möchte ich die Ängste und Sorgen der Bürger*innen ernst nehmen, welche durch ihre Form des Protestes diesen Hetzer*innen zur politischen Macht verhelfen und dadurch oftmals unbewusst ihren Beitrag dazu leisten, dass demokratische System zu gefährden. Ich selbst habe mich 2015 sehr stark in der Flüchtlingsarbeit engagiert. Noch heute sage ich: Die wahren Patriot*innen sind jene, die Deutschunterricht geben und unsere Normen und Werte vermitteln, nicht jene, die Deutschlandfahnen schwingend und „Wir wollen keine Ausländerschweine“ grölend durch unsere Städte ziehen. Und dennoch teile ich die Kritik dieser Menschen im Ansatz. Unsere Bundesregierung, die alte wie die neue Groko, ist in ihrer Arbeit und auf der Suche nach einer Lösung der Migrationsursachen an Inkompetenz nicht zu überbieten. Über Jahre hinweg hat man dem Schlachten im Nahen Osten tatenlos zugesehen. Ich persönlich kenne Menschen in der Türkei, im Libanon aber auch in Kenia, die seit Jahren, teils seit Jahrzehnten, mit den Auswirkungen von Flucht und Vertreibung, Bürgerkrieg und Terror zu kämpfen haben. Diese Menschen fühlen sich zurecht von der internationalen Gemeinschaft, von Europa und Deutschland, verraten. Alle drei oben genannten Länder haben deutlich mehr Kriegsflüchtlinge aufgenommen als Deutschland 2015 und 2016. Ich glaube nicht, dass es ein 80-Millionen-Volk überfordert, Menschen vor Krieg und Vertreibung zu retten. Was ein Volk jedoch sehr wohl überfordert, ist zu sehen, wie eine gesamte Bundesregierung kollektiv den Kopf in den Sand steckt und meint, Ehrenamtliche würden ihnen den Arsch retten. Diese Groko-Lethargie zieht sich durch bis auf die kommunalpolitischen Ebenen der Regierungsparteien. Für mich besonders enttäuschend ist in diesem Zusammenhang ein Artikel unseres Direktkandidaten im Thüringer Landtag, der hier Mitglied des Integrations- und Migrationsausschusses ist, in der Fraktionszeitung der CDU. Hierin bedient sich dieser angeblich den christlichen Werten verschriebene Mann der rechtsextremistischen Terminologie von Gutmenschen etc. Gerade von den Mitgliedern der Groko-Parteien hätte ich mir ein deutlich höheres Engagement in der Integrationsarbeit versprochen. Insbesondere als Kommunalpolitiker im ländlichen Raum weiß ich sehr wohl, welche Auswirkungen der demografische Wandel auf die Entwicklung des Landes hat. Ich möchte nicht den Fehler machen und Flucht und Asyl mit Arbeitsmigration gleichsetzen. Jedoch bemerkt auch im ländlichen Raum Ostthüringens die regionale Wirtschaft, dass sie auf Einwanderung angewiesen ist. Dies gelingt jedoch nicht, wenn Regionen dafür bekannt sind, dass Geflüchtetenunterkünfte brennen, Muslimas das Kopftuch vom Kopf gerissen wird, die Ausübung der Religion in Frage gestellt wird oder junge Menschen aufgrund ihres Aussehens bespuckt, bepöbelt und gejagt werden. Hier ist auch ein stärkeres Engagement der Wirtschaft längst überfällig. Wer als Unternehmer und Unternehmerin wirtschaftlichen Erfolg und Wachstum in einer globalisierten Welt möchte, MUSS sich entschieden gegen jede Form von Rassismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit stellen. Mein Einfluss als Kommunalpolitiker bei der Suche nach Problemlösungen ist begrenzt. Dies ist nicht die Aufgabe von Stadt- oder Kreisrät*innen, hier ist Europa- und die Bundesebene gefordert. Als engagierter Kommunalpolitiker verstehe ich es als meine Aufgabe, diejenigen, die zu uns gefunden haben, bei der Integration zu unterstützen. Dieses Engagement wünsche ich mir von allen demokratischen Akteur*innen. Dies setzt natürlich auch einen entschiedenen Kampf und Eintreten gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus voraus.

MADELEINE HENFLING: In weiten Teilen Thüringens sind extreme Rechte aktiv und vernetzt. Wie gestaltet sich die Situation in deinem Landkreis?

STEVE RICHTER: Als in Ostdeutschland aufgewachsener und sozialisierter junger Mann weiß ich sehr wohl, wie es sich anfühlt, von Rechtsextremen gejagt und bedroht zu werden. Derartige Erlebnisse mussten meine Freunde und ich in den 90er Jahren leider allzu oft machen. Für viele junge Menschen meiner Generation war dies einer der Gründe, die Region dauerhaft zu verlassen. Damals haben kommunalpolitische Akteur*innen versäumt, klare Zeichen an die Gesellschaft zu senden. Diesen Fehler werde ich als Mandatsträger und Sprecher des KV nicht wiederholen. Gerade wir Bündnisgrünen im SOK stehen wie keine andere Partei in der Region für den Kampf gegen Rechtsextremismus – seien es die alten Strukturen der radikalen Neonazis oder die neuen Formen des Nadelstreifen-Nationalismus. Nachdem es der Stadt Pößneck Anfang der 2000er Jahre gelang unser städtisches Kulturhaus aus dem Besitz von Rechtsextremist*innen zu holen, wurde es scheinbar ruhiger um die neonazistische Szene. Mit Beginn des „Migrationssommers“ organisierte sich jedoch eine für mich bis zu diesem Zeitpunkt gänzlich unbekannte und neue Form des radikalen Rechtsextremismus. Auf einmal waren es nicht mehr die halbstarken, pubertierenden Skinheads, die marschierten, sondern Menschen mittleren Alters, die meine Eltern und Großeltern hätten sein können. Erschreckend dabei ist es anzusehen, wie einfach sich Menschen manipulieren lassen und wie leicht es Demagog*innen fällt, die Menschen in einen kollektiven völkischen Rausch zu versetzen. Am Rande von extrem rechten Veranstaltungen in meinem Heimatlandkreis konnte ich oft am eigenen Leib erfahren, wie diffus die Motivationen zur Teilnahme an diesen Veranstaltungen sind. Ich bin der Überzeugung, dass 30 Jahre nach der Wiedervereinigung endlich die Unterschiede zwischen Ost und West behoben werden müssen. Ich glaube fest daran, dass für die Mehrheit der patriotischen Protestler*innen nicht Migration, Einwanderung oder Asyl das Problem sind, sondern die stetig wachsende Kluft zwischen Arm und Reich oder das Gefühl, als Ostdeutscher eine Person zweiter Klasse zu sein oder das Wissen darüber, trotz jahrelanger teils schwerer Erwerbstätigkeit am Ende als Rentner*in auf Grundsicherung angewiesen zu sein. Diese ungelösten Fragen der sozialen Gerechtigkeit treiben den Rattenfängern vom rechten Rand die Wähler*innen zu und bilden den Nährboden für ein politisches Klima bestehend aus Angst, Vorurteilen und Rassismus, was unweigerlich zu Gewalt führen wird. Nichts desto trotz danke ich Gott täglich dafür, dass mein Heimatkreis von Rechtsextremistischen Events, wie wir sie aus Apolda, Themar oder Mattstedt kennen, bis jetzt verschont blieb. Die wohl verbreitetste Form des Rechtsextremismus, mit der ich und unser Kreisverband aktuell zu tun haben, ist die Islamfeindlichkeit. Aber auch hier werden wir standhaft bleiben und das deutsche Grundgesetz gegen ideologisch Verbohrte verteidigen.

MADELEINE HENFLING: Welche Möglichkeiten siehst du als Kommunalpolitiker im Kampf gegen Rechtsextremismus?

STEVE RICHTER: Rechtsextremismus wird sich niemals gänzlich verhindern lassen. Jedoch glaube ich, dass es unsere Pflicht und Aufgabe ist, uns gesamtgesellschaftlich dagegen zu erheben. Solange Proteste gegen Thügida und AfD nur von einer Handvoll Akteur*innen getragen und unterstützt werden, kann man diesen Auswüchsen nichts entgegensetzen. Als Stadtrat und Kreissprecher des KV der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im SOK gebe ich aber ein Versprechen: Niemals werden wir Ruhe geben, wenn die Würde des Menschen in Gefahr gerät. Ich wünsche mir tatsächlich gerade von konservativen politischen Akteur*innen, insbesondere von der CDU, dass sie sich stärker an Protestformen beteiligt. Es darf nicht sein, dass sich die selbsternannte letzte Volkspartei zum Steigbügelhalter der Demokratiefeinde der AfD macht. In 16 deutschen Landtagen sowie dem deutschen Bundestag sitzt eine Partei, die wie keine andere dieses Land hasst. Meiner Überzeugung nach geht es den Patriot*innen um Höcke und Gauland nicht darum, dieses Land zu retten oder Werte zu verteidigen. Sie haben nur einen Wunsch: Dieses Land und alle Werte, die es vertritt, zu zerschlagen und zu zerstören. Ich bin der festen Überzeugung, wenn alle Akteur*innen ihre antifaschistische Pflicht erkannt haben, dann wird es uns gelingen die AfD und mit ihr den Rechtsextremismus dahin zu befördern, wo sie hingehören, nämlich unter die 5% Marke.