Interview

#KLARTEXT mit Liriam Sponholz: Hate Speech als Bedrohung gesellschaftlicher und demokratischer Prozesse und was wir dagegen tun können

Die Medienwissenschaftlerin Liriam Sponholz forscht zu Agenda Building, Identitätsfragen und Hate Speech. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und habilitierte 2018 mit dem Thema „Hate Speech in den Massenmedien“ an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt/Österreich. Für Sponholz sind ihre Schwerpunkte nicht nur Untersuchungsgegenstände, vielmehr kennt sie die Routinen der Medienberichterstattung aus ihrer jahrelangen Arbeit als Journalistin. Liriam Sponholz und Madeleine Henfling haben sich über Hate Speech und über die Möglichkeiten, den Hassreden etwas entgegenzusetzen, ausgetauscht.

MADELEINE HENFLING: Liriam, wenn ich schon die Gelegenheit habe, mit einer Expertin über das Thema zu sprechen, möchte ich dich bitten, uns ein wenig die unterschiedlichen Begrifflichkeiten wie Hate Speech, Hateposting, Fake News, Shitstorm etc. zu erklären?

LIRIAM SPONHOLZ: Im Grunde genommen bezeichnet man als Hate Speech jede Äußerung oder Botschaft, die bewusst Menschen, welche anhand eines Merkmals wie Hautfarbe, Geschlecht, Religion etc., kategorisiert und als „Gruppe“ fixiert werden, demütigt, beleidigt, bedroht oder Hass gegen sie anstiftet. Hate Speech kann online oder offline erfolgen, ist aber immer gruppenbezogen. Hatepostings oder Hasspostings sind eine deutsche Wortkonstruktion, die sich in der Regel auf unzivilisierte Kommentare auf digitalen Plattformen bezieht. Unzivilisierte Kommentare sind beleidigend und können auch zur Gewalt aufrufen, sind aber anders als Hate Speech nicht zwingend gruppenbezogen. Fake News sind wiederum Botschaften im Nachrichtenformat, die einen Wahrheitsbezug inszenieren, aber bewusst von der Realität abweichen. Sie müssen weder beleidigend noch gruppenbezogen sein. Beispiele dafür sind Fake News über den Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus. Ein Shitstorm ist ein Online-Phänomen, das eine ansteigende Welle negativer Medienaufmerksamkeit beschreibt, die durch eine Vielzahl kritischer Äußerungen entsteht.

MADELEINE HENFLING: Wer ist Zielscheibe von Hate Speech?

LIRIAM SPONHOLZ: Zielscheiben von Hate Speech können schon per Definition nur Menschen sein, die anhand eines Merkmals kategorisiert und als solche einer Gruppe zugeordnet werden, wodurch sie automatisch in eine unterprivilegierte Position geraten. Anders formuliert: Hate Speech, sei es online oder sei es offline, ist immer rassistisch, sexistisch, antisemitisch, islamophob, homophob oder richtet sich gegen Menschen mit Behinderung. Es trifft Frauen und „Minderheiten“, wobei der letztere Begriff sich eher auf Machtverhältnisse in einer Gesellschaft als auf die bloße Anzahl der „Gruppenmitglieder“ bezieht.

Man könnte aber zurecht an dieser Stelle sagen: „OK, ich gehöre keiner Minderheit an und wurde trotzdem schon auf Online-Netzwerkplattformen beschimpft oder bedroht“. Das liegt daran, dass, anders als bei Hate Speech jeder zur Zielscheibe von dem werden kann, was im Alltagsdeutsch als „Hass im Netz“ bezeichnet wird. Dieser „Hass im Netz“ wird wissenschaftlich als Online Harassment bezeichnet und umfasst die gesamte Palette missbräuchlichen Verhaltens, welches durch digitale Plattformen ermöglicht wird. Dazu gehören neben Online-Hate Speech auch Online-Misogyny (spezifische Formen von online Harassment gegen Frauen), Cyberterrorism (politisch motivierte Angriffe auf Computer, Netzwerke, Informationen), Cyberbullying (persönlich motiviertes Online-Harassment), Online-Incivility (unzivilisiertes Verhalten in Online-Debatten) u.v.a. All diese Formen von Online-Konflikten haben aber ihre jeweils eigenen Merkmale und Dynamiken und können nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden. Dies gilt insbesondere mit Blick auf Hate Spech.

MADELEINE HENFLING: Leider habe ich ja auch die Erfahrung mit Bedrohungen und Beleidigungen über soziale Medien machen müssen. Was für eine Motivation steckt aus deiner Sicht dahinter, wenn Menschen derart öffentlich andere beleidigen und bedrohen?

LIRIAM SPONHOLZ: Die Motivationen und die Ursachen sind vielfältig. Das Besondere an der Computervermittelten Kommunikation liegt darin, dass es sich nicht um eine Interaktion zwischen zwei oder mehreren Personen handelt, sondern zwischen vernetzten Computer. Das heißt konkret: Ich weiß nicht, mit wem ich kommuniziere. Es kann ein*e Bekannte*r oder eine fremde, private oder eine öffentliche Person, eine allein agierende Person oder eine Hate Group sein. Es muss nicht einmal eine Person sein. Es kann sich auch um einen sogenannten Social Bot handeln, d.h. eine Software, die entwickelt wurde, um mit Menschen in der Computergestützten Kommunikation zu interagieren. Darum ist wichtig, nicht nur auf Inhalte, sondern auch auf Form, Kommunikator*in und Plattform zu achten, um der Motivationen auf die Spur zu kommen.

MADELEINE HENFLING: Was sind die Konsequenzen von Hate Speech und Hatepostings für das Leben der Betroffenen?

LIRIAM SPONHOLZ: Es gibt ein paar Mythen diesbezüglich, mit denen man an dieser Stelle vielleicht einmal aufräumen sollte. Eine davon ist es, dass es keine empirischen Beweise gäbe, dass Hate Speech Schaden anrichtet. Das ist schlicht falsch. Die Hate Speech-Forschung hat in den 1980er Jahren in den USA angefangen und mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Studien, die zeigen, dass die öffentliche Demütigung und Anstiftung von Hass gegen Frauen und „Minderheiten“ mitunter gravierende Folgen für die betroffenen Individuen hat. Aus diesem Forschungsbereich entstand u.a. das sogenannte Minority Stress Model. Die hieraus hervorgegangenen empirischen Studien belegen, dass Menschen, die zur Zielscheibe von Hate Speech und anderer Formen von Diskriminierung werden – sei es online oder offline –, mehr rauchen sowie anfälliger für Depression und andere psychische Erkrankungen sind. Ein zweiter Mythus ist zu glauben, dass Individuen die einzigen Betroffenen sind. Hate Speech in der politischen Online-Kommunikation streut Misstrauen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und hat desintegrative Effekte. „Hate Postings“, d.h. unzivilisiertes Verhalten in Online-Debatten, führt so z.B. dazu, dass viele Nutzer*innen davon Abstand nehmen, ihre Meinung zu äußern, sich einzubringen. Dadurch aber werden demokratische Deliberationsprozesse und damit unsere Demokratie insgesamt gefährdet. Online-Misogyny erklärt Frauen und Mädchen in Online-Öffentlichkeiten beinah als „vogelfrei“ und wirft so die Teilnahme von Frauen am öffentlichen Leben um Jahrzehnte zurück. Hate Speech als Online-Hetze gegen „Minderheiten“ eignet sich zudem beinah ideal als Ablenkungsmanöver: Während wir über das „Islam-“ oder das „Ausländer-Problem“ diskutieren, können unpopuläre soziale Maßnahmen implementiert werden, wie wir es derzeit in Österreich beobachten können. Im Kontext von ethnischen Konflikten, wie im Myanmar, kann Online-Hate Speech sogar als Katalysator für offene, physische Gewalt fungieren. Eine Gruppe von Menschen zu einem gesellschaftlichen Problem zu erklären, allein aufgrund von dem, was sie sind, schadet den Betroffen und der Gesellschaft insgesamt.

MADELEINE HENFLING: Hast Du einen Ansatz, wie man mit Hate Speech und Hatepostings umgehen sollte?

LIRIAM SPONHOLZ: Hate Speech und andere Formen von Online-Harassment zu bekämpfen, verlangt das Handeln auf mindestens drei Ebenen: vorbeugen, kontern und neutralisieren. Vorbeugen heißt aufklären, was es überhaupt bedeutet, etwas öffentlich zu äußern und wie Computergestützte Kommunikation eigentlich funktioniert. Es ist wichtig zu verstehen, dass es wesentliche Unterschiede zwischen dem gibt, etwas an einem Tisch in einem Pub zu äußern und dem, etwas online zu posten. Beim Kontern geht es darum, Gesicht zu zeigen und sich öffentlich (online) dagegen zu äußern. Neutralisieren heißt wiederum regulieren, Hater*innen vor Gericht zu bringen, aber auch Fälle bei Online-Plattformen oder Website-Administrator*innen zu melden, damit solche Beiträge gelöscht werden, oder auch einfach Nutzer*innen in Diskussionsforen zu blockieren.  Eine Ebene kann die anderen nicht ersetzen. Um es klar zu sagen: Keine Aufklärungskampagne kann die enormen Schäden an jenen Frauen heilen, deren intime Bilder unfreiwillig online gestellt werden. Man muss aber auch akzeptieren, dass es keine „One-size-fits-all“-Lösung gibt. Pauschale Antworten wie „The best remedy for hate speech is more speech“ oder „Das beste Argument gewinnt” sind genauso fehl am Platz wie „Man soll alles verbieten“. Private Adressen, intime Fotos oder Aufrufe zum Selbstmord sind keine Meinungen und damit auch kein Gegenstand, dem argumentativ zu begegnen ist. Ohne Medienkompetenz, einer ausdifferenzierten Debatte und klaren gesetzlichen Regulierungen werden wir es schwer haben, Online-Harassment und Hate Speech in den Griff zu bekommen.