Interview

#KLARTEXT-Interview mit Aminata Touré: Rassismus ernst nehmen

Aminata Touré ist Landtagsabgeordnete der Bündnisgrünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Sie ist Sprecherin für Flucht und Migration, Frauenpolitik und Gleichstellung sowie Queer. Seit August 2019 ist sie zudem Vizelandtagspräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages.

Madeleine Henfling: Aminata, du bist jetzt seit 2017 Abgeordnete für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Was hat dich bewegt Politik zu machen, insbesondere bei den Bündnisgrünen? Wann und wie hast du begonnen, dich für politische Themen zu interessieren?

Aminata Touré: Eigentlich schon immer. Dadurch, dass meine Eltern aus Mali geflohen sind und wir hier in Deutschland die ersten fünf Jahre meines Lebens in einer Flüchtlingsunterkunft gelebt und die ersten zwölf Jahre in Kettenduldung verbracht haben, war Politik immer Thema. Es hat ganz konkret unser tägliches Leben beeinflusst: Dürfen wir hier leben oder nicht. Die politische Stimmung im Land hat sich direkt auf die Asylpolitik ausgewirkt.

Ich habe mir mehrere Parteien angesehen, bevor ich mich für die Grünen final entschieden habe. Aber für mich waren die Grünen in ihrer Struktur am attraktivsten (viele Möglichkeiten sich niedrigschwellig einzubringen und viele Frauen und junge Menschen) und von den Grundsätzen und der Offenheit für Kritik, Veränderung und neuen Perspektiven genau das, was ich mir am besten politisch vorstellen konnte.

Madeleine Henfling: Seit 2015 nehme ich verstärkt eine Diskursverschiebung wahr, die von politischen Akteur*innen getragen wird: Eine ausgrenzende und feindliche Haltung gegenüber Geflüchteten findet im politischen Raum Anklang. Antimuslimischer Rassismus wird fast täglich geäußert. Und auch Antifeminismus tritt wieder sichtbarer auf. Wie beobachtest und bewertest du die aktuelle Situation?

Aminata Touré: Ich glaube, dass das ein immer wiederkehrendes Phänomen ist. Rassismus und Frauenfeindlichkeit ist immer schon da gewesen und hat seine Hochphasen in der öffentlichen Wahrnehmung. Aber alle, die davon betroffen sind, bemerken das tagtäglich, unabhängig von Schlagzeilen. Deshalb sind meiner Meinung nach die Hochphasen, die alle wahrnehmen, lediglich die Spitze des Eisberges.

Madeleine Henfling: Im Februar 2019 hattest du in Kiel eine Antirassismuskonferenz „Gesellschaft der Vielen“ organisiert. Wie ist die Idee für die Konferenz entstanden und welches Ziel hast du damit verfolgt?

Aminata Touré: Das Thema beschäftigt mich privat und politisch schon seit jeher. Deshalb war für mich ganz klar, dass ich das auch politisch behandeln werde, wenn ich Abgeordnete bin. Ich habe mich bei den Koalitionsverhandlung sehr stark dafür gemacht, dass wir einen Aktionsplan gegen Rassismus als Land umsetzen werden. Daraufhin war mir sehr bewusst, dass wir viel Aufklärungsarbeit zu dem Thema machen müssen und eine Aufmerksamkeit für dieses Thema schaffen müssen, dass viele betreffen. Mein Team und ich haben dann relativ bald angefangen darüber nachzudenken, wie wir das machen können. Wir haben etliche Termine zu dem Thema gemacht, uns viel angelesen und uns viel damit auseinandergesetzt. Da gab es eine krasse Vorlaufzeit. Dann hat es ein bisschen mehr als ein halbes Jahr Vorbereitungszeit gekostet, um die Veranstaltung dann ins Leben zu rufen.

Madeleine Henfling: Über einen Teil unserer Geschichte liegt ein Schleier: die koloniale Vergangenheit des deutschen Kaiserreichs. Was für eine Bedeutung hat die Aufarbeitung und Anerkennung dieser Verbrechen heute?

Aminata Touré: Nicht die Bedeutung, die sie haben sollte. Viel Rassismus speist sich genau aus dieser Zeit der deutschen und europäischen Geschichte. Deshalb finde ich es höchstproblematisch, wenn wir das Thema nur als Randerscheinung in der Schule behandeln. Bei mir war es so und das, was ich aus Gesprächen mit Schulen und Schüler*innen wahrnehme, ist, dass es nach wie vor so ist. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema, damit wir Rassismus im Kern bekämpfen können. Da ist noch viel zu tun. Das Ding ist ja, dass es dazu extrem viel Wissen gibt. Es gibt unglaublich viele migrantische Organisationen, Schwarze Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und Akteur*innen, die sich viel damit auseinandersetzen und wissenschaftliches Material verfasst haben. Man muss es schlichtweg nur anwenden. Da hinken wir hier in Deutschland aber hinterher.

Madeleine Henfling: Welche Instrumente der Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit funktionieren bei euch in Schleswig-Holstein gut oder weniger gut? Beispielsweise sind bei euch die Antidiskriminierungsstelle und die Polizeibeschwerdestelle bei den Beauftragten des Landtages angesiedelt. Würdest du eine solche Struktur auch für Thüringen empfehlen? Welche weiteren Anregungen kannst du uns, aus deinen Erfahrungen mit der Antidiskriminierungspolitik in Schleswig-Holstein und aus deinem zivilgesellschaftlichen Engagement, für Thüringen mitgeben?

Aminata Touré: Also, ich kenne die Strukturen in Thüringen nicht gut genug, um eine Ferndiagnose zu geben, aber was ich im Kampf gegen Rassismus immer relevant finde, ist, dass man die Expertise von People of Color nutzt, sie an den Prozessen beteiligt. Ansonsten macht es keinen Sinn. Ich erlebe oft, dass Antirassismusarbeit ausschließlich von weißen Menschen gemacht wird. Es ist lobenswert, das sie diese Arbeit machen und dringend notwendig. Aber wenn man die Perspektive derjenigen nicht mit dabei hat, die die Auswirkungen am meisten merken, dann ist das ein Problem.

Madeleine Henfling: Was können wir deiner Ansicht nach in den Parlamenten tun, um dem Ziel einer rassismusfreien Gesellschaft näher zu kommen?

Aminata Touré: Sich mit dem Thema überhaupt befassen, Rassismus ernst nehmen. Aktionspläne, Gesetze, Anträge zu dem Thema erarbeiten und in die Strukturen reingehen, um das Problem ganzheitlich zu bekämpfen. Keine Alibianträge, in dem alle sagen, Rassismus ist doof, aber keine konkreten Maßnahmen vorschlagen. Mit den Initiativen, Verbänden und Akteur*innen arbeiten, die sich selbst vertreten und die eine Menge einzubringen haben.