Bericht

Bericht Bündnisgrüner Polizeikongress am 21. Juni 2022

Bündnisgrüner Polizeikongress am 21. Juni 2022

Wie alle Arbeitgeber*innen hat die Polizei bereits jetzt zunehmende Probleme, ausreichend Bewerber*innen für diesen anspruchsvollen Beruf zu begeistern. Zudem haben bspw. die Enthüllungen rund um Nordkreuz und das Auffliegen rechter Polizei-Chatgruppen einen enormen Vertrauensverlust bei vielen Menschen verursacht und befeuerten die Debatte, wie Polizist*innen ausgebildet werden und wie eventuelle strukturelle Probleme in der Polizei angegangen werden sollten. Wir nahmen diese Problematiken zum Anlass, um mit Expert*innen und Interessierten in die Diskussion zu gehen, vor welchen Aufgaben die Polizei steht und wie wir diese meistern können. Unsere innenpolitische Sprecherin Madeleine Henfling, Doreen Denstädt, Sprecherin der LAG Innenpolitik von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen und Dr. Martin Thüne von Polizeigrün Thüringen e.V. luden dafür am 21. Juni zu unserem ersten bündnisgrünen Polizeikongress ein. Die Moderation der Veranstaltung übernahm Sarah Ullrich, eine freie Journalistin mit den Themenschwerpunkten soziale Kämpfe & Bewegungen, Rassismus & Neonazismus.

Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte unsere Fraktionsvorsitzende Astrid-Rothe Beinlich alle Anwesenden. Sie betonte, dass die Herausforderungen der Polizei umfangreich sind und wir mit diesem Kongress das Ziel verfolgen, Grundlagen für zukünftige parlamentarische Initiativen zu schaffen. Die Themen, die in den drei Panels rund um die Zukunft der Polizei, den Umgang mit diskriminierendem Verhalten und eine moderne Polizeiausbildung, diskutiert werden, sollten darüber hinaus Denkanstöße für eine progressive und zukunftsfähige Polizei geben. Als drittes Ziel des Kongresses benannte Astrid die Vernetzung von maßgeblichen Akteur*innen aus Polizei und Zivilgesellschaft.

Madeleine Henfling bedankte sich in ihrer Eingangsrede zunächst bei den Referent*innen und zahlreichen Teilnehmer*innen. Die innenpolitische Sprecherin betonte, dass die politische Arbeit von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN klar dem Vorurteil widerspricht, dass eine Anti-Polizei Haltung in der Partei vorherrschen würde. Sie stellte aber auch klar, dass es eine gesunde kritische Haltung gegenüber dem Gewaltmonopol, das in sensiblen Bereichen arbeitet und zentraler Teil der Demokratie ist, geben muss. Sie beleuchtete zudem die Problemlagen des demografischen Wandels und dem zeitweise schwierigen Verhältnis zwischen Polizei und Zivilgesellschaft.

Dr. Martin Thüne vom Verein Polizeigrün Thüringen stellte im Anschluss den Verein und seine Arbeit vor. Das Ziel von Polizeigrün ist es, ihm zufolge, eine rechtsstaatliche Bürger*innenpolizei zu schaffen. Im Zuge dessen organisieren sie diverse Veranstaltungen, die sowohl die Polizei, die Zivilgesellschaft als auch die Politik miteinander verbindet.

FACHINPUT VON PROF. EVA GROß

Nach den Begrüßungen durch die Initiator*innen des Polizeikongresses erhielt Prof. Eva Groß das Wort. Die Professorin für Kriminologie stellte ihren Forschungsschwerpunkt der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) vor und hielt einen Vortrag über „Zukünfte der Polizei – Herausforderungen und Visionen.“ Eines der Grundprobleme, das sie zu Beginn ihres Inputs nannte, ist das Ungleichgewicht von gesellschaftlicher Diversität und einer personell homogen aufgestellten Polizei. Die Institution läuft demnach Gefahr, keine gleichwertige Sicherheit für alle Bürger*innen gewährleisten zu können.

In Zeiten zunehmender Segregation der Gesellschaft sowie höherer Hasskriminalität und dem Erstarken von Rechtsextremismus, führte dies der Expertin nach zu mehr ungleichwertigkeitsbasierten Praktiken, die sich in Einstellungen und Verhalten von Polizist*innen niederschlagen können. Diese stammen zumindest teilweise von Faktoren wie der Überlastung der Beamt*innen, negativen Erfahrungen mit bestimmten Gruppen oder ein Gefühl des Statusverlustes. Prof. Groß zufolge wirken diese Einstellungen innerhalb der Polizei zusätzlich in vorurteilsbehaftete Subkulturen ein. Diese entladen sich immer öfter in öffentlich sichtbaren Handlungen von illegitimer Polizeigewalt oder biased policing, das eine voreingenommene und unfaire Behandlung von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen bedeutet. Die zentrale Herausforderung einer modernen Polizei sah sie darin, diese Praktiken zu erkennen, sie als Probleme zu benennen und sich aktiv damit auseinanderzusetzen, um sie minimieren zu können. Als zentrale Gefahr beschrieb die Professorin die Erosion von Vertrauen und Glaube an Legitimität und Effektivität der Polizei.

Als Lösungsansätze für die Problemlagen benannte sie zum Ende ihres Vortrags einen Wandel hin zu echter Diversität in allen Strukturen, mehr Reflexion in der Polizeiausbildung, Beschwerdestellen, bei denen Ungleichbehandlung aufgezeigt werden können, sowie ein Aufbrechen der internen Abschottungskultur.

PANELS

Nach einer kurzen Pause, die bereits für angeregten Austausch genutzt wurde, verteilten sich die rund 35 Teilnehmer*innen auf die drei Panels.

Panel 1 befasste sich mit dem Thema: „Zukunft der Polizei – Erwartungen, Realitäten und Möglichkeiten“. Neben Madeleine Henfling und Prof. Eva Groß war Oliver von Dobrowolski Teil dieser Diskussionsrunde. Er ist Kriminalhauptkommissar sowie Autor und Sprecher von BetterPolice e.V.. Einer der Schwerpunkte dieses Panels war die Bedeutsamkeit von Forschung für die Polizeiarbeit. So sollte eine erhöhte Sensibilisierung für Problemlagen innerhalb der Polizei sowie Präventionswissen geschaffen werden. Prof. Eva Groß und einige Teilnehmer*innen berichteten, dass in der Praxis Studien häufig schlecht angenommen werden. Zudem fehlt eine Instanz, die diese Studien erklärt und in die Praxis überführt.

Den zweiten Schwerpunkt bildeten andere Konzepte und Ideen, wie bspw. Defund Police. Dabei sollen Zuständigkeiten neu geklärt und verteilt werden, um die Polizei zu entlasten. Ein anderes Problem, welches Oliver von Dobrowolski benannte, war, dass die Mehrheit der Polizeibeamt*innen schweigt und so Fehlverhalten ihrer Kolleg*innen zulässt. Seiner Meinung nach braucht es mehr Supervision, externe Polizeibeauftragte, mehr Kontrolle sowie Schutz für Kolleg*innen, die Fehlverhalten aufdecken. Der finale Punkt den die Abgeordnete und die Expert*innen mit den Anwesenden diskutierten, war das zu verbessernde Verhältnis zwischen der Polizei und anderen Behörden sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen.

In Panel 2 diskutierte Doreen Denstädt mit den Journalisten Stephan Anpalagan und Aiko Kempen zum Thema „Polizei für alle – Einsatz gegen Diskriminierung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Zunächst stellten die Expert*innen klar, dass die rechten und menschenfeindlichen Einstellungen enorme Macht haben und es sich eben nicht um Einzelfälle handelt. Ein großes Problem besteht laut Stephan Anpalagan darin, dass die Problematik kleingeredet wird und Kritik an der Polizei als Angriff oder Diskreditierung dieser verstanden wird.

Im Austausch mit den Teilnehmer*innen kam die Frage auf, ob diese Einstellungen bereits vorher da waren oder sich erst mit Eintritt in den Polizeidienst entwickeln. Aiko Kempen stellte klar, dass beides vorkommt. Allerdings attestierte er vielen Polizist*innen ordnungsliebende Denkmuster und eine Vorliebe für hierarchische und starre Strukturen. Darüber hinaus wurde eingebracht, dass es oft eine hohe Diskrepanz zwischen der Ausbildung und dem Eintritt in den aktiven Dienst gibt, wo häufig Idealvorstellungen auf bestehende Strukturen treffen.

Als die größten Probleme der Polizei in Bezug auf Diskriminierung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und rechte Einstellungen benannten die Expert*innen zum einen das Fehlen einer externen Kontrollinstanz, zum anderen strukturelle Probleme. Insbesondere die Problematik, das Beamt*innen bei Fehlverhalten nicht einfach entlassen werden können und sich daran schwierig etwas ändern kann, führt dazu, dass viele Handlungen ungestraft bleiben. Als Lösung hierfür braucht es der Meinung der Diskutierenden nach eine starke Führungsebene mit klarer Linie, die diskriminierendes Fehlverhalten und rechte Einstellungen sanktioniert und so klare Handlungsanweisungen für alle schafft.      

Das Panel 3 beschäftigte sich mit dem Thema Bildung „Progressive Bildung = Progressive Polizei?“ unter der Leitung von Dr. Martin Thüne. Die weiteren Referenten waren Dirk Heidemann, ehemalige Leiter des Fachgebiets „Polizeiliche Führungslehre“ der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, und Roland Hoheisel-Gruler, Lehrender an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung im Fachbereich Kriminalpolizei.

Die Expert*innen machten zunächst deutlich, wie wichtig die Bildung für eine erfolgreiche Zukunft der Polizei ist. Neben einer bewussten Kultur des Lernens, die Kompetenzen ausbildet und die Polizeischüler*innen nachhaltig befähigt, braucht es vor allem mehr Mitbestimmung während der Ausbildung. Als wichtigen Baustein hierfür benannte Roland Hoheisel-Gruler die Bedeutsamkeit von lebenslangem Lernen, das durch kontinuierliche und verpflichtende Fortbildungen verwirklicht werden sollen. Zusätzlich merkte Dirk Heidemann an, dass ein höherer Grad an Unabhängigkeit der Polizeischulen und Hochschulen von der eigentlichen Institution der Polizei notwendig ist. Seiner Meinung nach könnten durch diese Autonomie von Lehrenden und Lernenden mehr akademische Forschung und Themen wie Interkulturalität, Diversität und verschiedenen Gerechtigkeit(en) Einzug halten. Dies würde zusätzlich mehr Wissen über die Gesellschaft und ihre Strukturen bedeuten, mit welchen in der späteren Praxis der Polizist*innen den Problematiken der beunruhigten Gesellschaft begegnet werden kann. Am Ende waren sich die Experten und die Teilnehmer*innen des Panels einig, dass mit Bildung viel erreicht werden kann, aber ein Verständniswandel erfolgen muss, bei dem Kritik als Chance für die Polizei wahrgenommen wird.

ABSCHLUSSDISKUSSION

Die finale Diskussion mit allen Expert*innen und Teilnehmer*innen und geleitet von Moderatorin Sarah Ullrich widmete sich der Frage, wie wir diese eigentlich zentrale Institution Polizei verbessern können, um wieder in den Fokus zu rücken, dass ihre Aufgabe ist, Menschen zu helfen. Ein zentraler Punkt, der sich in der Meinung von Stephan Anpalagan ändern muss ist, dass: „wir eine ‚Führungskultur‘ brauchen, die ganz klar Grenzen und Werte vermittelt. Es braucht einen klar vorgegebenen Rahmen, der aufzeigt, was akzeptables Verhalten ist und was nicht“. Aiko Kempen ergänzte dazu, dass dies zusätzlich den Kolleg*innen die Möglichkeit geben könnte, angstfrei Fehlverhalten anzuzeigen, ohne Repressionen befürchten zu müssen. Zudem wurde die Einrichtung einer unabhängigen Kontrollinstanz als wichtiges Instrument identifiziert, um der internen Nachverfolgung von falschem Handeln entgegenzuwirken. Als letzten wichtigen Baustein benannten die Expert*innen die Aus- und Fortbildung der Polizist*innen, die zu Reflexion anregen, ein Klima, das Widersprüche erlaubt schafft und Bereitschaft für Supervision ermöglicht. So sagte Initiator Martin Thüne: „Bildung ist immer wichtig. Nötig sind Fortbildungen, mit Blick auf lebenslanges Lernen“.

Im zweiten Teil der finalen Diskussionsrunde versuchte Moderatorin Sarah Ulrich eine Antwort auf die Frage „was aktuell gegen eine Polizei für alle spricht“ zu erhalten. Die Expert*innen attestierten der Institution zunächst ein Mangel an Kommunikation mit den gesellschaftlichen Gruppen, die sich von ihr nicht repräsentiert und falsch behandelt fühlen. Demnach braucht es zum einen mehr Kontakte in die Gesellschaft, um eine gegenseitige Wahrnehmung zu schaffen und zum anderen mehr Zusammenarbeit mit Präventionsstrukturen. Diese Maßnahmen würden ebenfalls eine Konfrontation mit der Fremdwahrnehmung der Polizei innerhalb der Gesellschaft ermöglichen. Diese wäre nützlich, um das Bild der Institution langfristig und glaubwürdig zu verbessern. Madeleine stellte klar, dass Geld für Verbesserungen hin zu mehr Diversität zur Verfügung steht, aber durch einen Mangel an klaren Zielen und personeller Kapazität wertvolle Projekte nicht realisiert werden und so eine Polizei für alle unwahrscheinlich macht. Als Fazit stellte Oliver Dobrowolski fest, dass: „die ‚guten‘ Polizist*innen eigentlich überwiegen aber sie leider zu leise sind. Die Frage ist, wie man diese mobilisieren kann und so zu den Grundsätzen der eigentlichen Polizeiarbeit zurückkehren kann“.

Madeleine beantwortete zum Schluss die Frage, was sie aus der Veranstaltung mitnehmen wird und was jetzt folgen sollte. Die Innenpolitikerin stellte klar, dass gerade der Bereich Bildung in Zukunft Thema werden soll, sei es die Polizeischule in Meinigen oder allgemein die Forderung nach mehr und längerer Aus- und Fortbildung. Weiterhin betonte sie, dass die Thüringer Polizeivertrauensstelle erneut in den Fokus genommen werden muss. Konkret wird sie versuchen für eine Erweiterung der Kompetenzen der Stelle eine Mehrheit im Landtag zu erwirken. Final betonte sie, wie wichtig der Austausch zwischen Polizei, Verbänden und Politik ist, um Themen wie gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit anzugehen und genauer auf die internen Strukturen blicken zu können. Abschließend sagte Madeleine: „Wir haben heute viel über die Rolle der Polizei in unserer Gesellschaft gesprochen und viele interessante Ansatzpunkte für eine bürgernahe Polizei der Zukunft heraus gearbeitet. Wir werden die Probleme und Wünsche, die angesprochen wurden, mitnehmen und daran mit allen Beteiligten arbeiten.“

Wir bedanken uns herzlich bei den Referent*innen: Stephan Anpalagan, Doreen Denstädt, Oliver von Dobrowolski, Prof. Dr. Eva Groß, Dirk Heidemann, Roland Hoheisel-Gruler, Aiko Kempen und Martin Thüne. Außerdem bei Sarah Ulrich für die Moderation und natürlich bei allen Teilnehmer*innen für die anregende, konstruktive und spannende Debatte.