Bericht

Bericht zum 2. Infotag „Mafia“ am 25. Oktober 2023

Die Mafia ist unter uns. Soviel ist spätestens nach unserem 2. Infotag am 25. Oktober 2023, im Haus Dacheröden in Erfurt klar. Deutlich wurde aber auch, dass es erfolgsversprechende Wege zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität gibt. Dieser Kampf ist nur gemeinsam – Staat und Gesellschaft, Länder und Europa, Europa und die Welt – zu gewinnen. Denn die Mafia ist längst international aufgestellt und verdient so Milliarden. Der zweite Weg, den die italienische organisierte Kriminalität (IOK) in Deutschland fürchtet, ist, über die Mafia zu reden. Sie zu stören. Ihr die Tarnung als nette Gastwirte und freundliche Pizzabäcker wegzunehmen.

Referent*innen des vollgepackten Infotages taten genau das: sie sprachen über die Mafia, hauptsächlich über die kalabrische `Ndrangheta, die sich zu einer der gefährlichsten Mafiaorganisationen der Welt aufgeschwungen hat. Die Fachleute gaben Einblick in ihre Arbeit, die vom Kampf gegen die Mafia geprägt ist – so unterschiedlich ihre Professionen sind.

Thüringens Justizministerin Doreen Denstädt eröffnete die Fachtagung mit einem persönlichen Grußwort. Unsere Ministerin verwies auf die gute Arbeit der Schwerpunktstaatsanwaltschaft Gera, die sich auf die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität spezialisiert hat. Dennoch gilt für die Justiz, dass es noch viele Probleme gibt: angefangen vom Personal bis hin zu gesetzlichen Schlupflöchern, die auf Bundesebene angepackt werden müssen.

Madeleine Henfling, unsere Obfrau im Untersuchungsausschuss 7/1 „Mafia“ im Thüringer Landtag und Gastgeberin des Infotages, gab im Anschluss einen tiefen Einblick in die laufende Arbeit des Ausschusses. Das Besondere: In der bundesdeutschen Geschichte ist er der erste, der sich mit dem Phänomen der Mafia als solches beschäftigt. Damit – so eine erste vorläufige Einschätzung – stößt er sehr oft an seine Grenzen. Das zeigt sich vor allem an einer eher defensiven Aktenlieferung der Bundesbehörden oder anderer Bundesländer, aber ebenfalls in den nun nachträglich vertraulich eingestuften Dokumenten, die damit dem Ausschuss entzogen wurden. Insgesamt tagte der Ausschuss seit seiner Einsetzung Ende Juni 2021 schon 27-mal, 21-mal davon in öffentlicher Sitzung. Mehr als 40 Zeug*innen aus Polizei, Justiz und Verwaltung wurden seitdem gehört.

Unser Bundestagsabgeordneter und Obmann im Ausschuss für Inneres und Heimat im Deutschen Bundestag, Marcel Emmerich, ergänzte den Bericht aus dem Untersuchungsausschuss mit aktuellen Informationen aus der Bundespolitik und dem Stand der Umsetzungen von Gesetzesnovellen im Bereich der Geldwäsche-Bekämpfung. Hierbei wurde mit dem Publikum insbesondere über die lange geforderte Bargeld-Obergrenze diskutiert. Deutschland tut sich bislang schwer, hier strengere Regeln einzuführen, wie sie in anderen europäischen Ländern längst Normalität sind. Auch auf das angekündigte Bundesfinanzkriminalamt blickte Emmerich kritisch, da bisher außer Ankündigungen des Bundesfinanzministers dazu nur wenig in Berlin zu vernehmen ist. Gleiches gelte für die viel gescholtene „Financial Intelligence Unit“ (FIU), die eigentlich die Geldwäsche im Geldwäscheparadies Deutschland zentral bekämpfen soll, in den Verdachtsanzeigen allerdings ersticke.

Giulia Norberti vom Verein mafianeindanke e.V. unterstrich die Notwendigkeit, gerade im Bereich der Geldwäsche aktiv zu werden. Das größte Problem der `Ndrangheta sei es, ihr Schwarzgeld zu waschen. Seit sieben Jahren beobachtet Norberti ehrenamtlich im Verein die Mafia, um Politik und Medien zu beraten. Nur so kann die Politik Strategien entwickeln, erläuterte sie.

Dem schloss sich Oberst Marco Tripodi, der Attaché der Guardia di Finanza in Berlin an. Tripodi hatte schon den ersten Infotag mit einem Einblick in die italienische Finanzpolizei bereichert. Das ergänzte er nun nicht nur mit einem historischen Rückblick auf die Entstehung der Guardia, sondern mit wichtigen Ableitungen für Deutschland und die europäische Union im gemeinsamen Kampf gegen die Organisierte Kriminalität.
Dabei verwies er auf die wachsenden Probleme im Bereich der Sportwetten und der Kryptowährungen. Hier investieren Strukturen der Organisierten Kriminalität zunehmend ihr schmutziges Drogengeld.
Und hier müssen sich die internationalen Strafverfolgungsbehörden deutlich besser aufstellen.

Nach der Mittagspause leitete der MDR-Redakteur Axel Hemmerling als Moderator des Infotages zum zweiten Schwerpunkt des Symposiums über: Dem aktuellen Gerichtsverfahren und Ermittlungen gegen mutmaßliche Mitglieder in der `Ndrangheta in Deutschland. Dazu konnten wir Oberstaatsanwalt Uwe Mühlhoff aus Duisburg gewinnen. Mühlhoff führt derzeit das größte Gerichtsverfahren gegen die Mafia im Ergebnis des Ermittlungsverfahrens „Pollino.“ Die bisher mehr als 100 Verhandlungstage hätten gezeigt, wie schwer es sich der Rechtsstaat mit dem Phänomen Mafia und einer komplexen, international agierenden Struktur tut. Bisher sei nur ein einziges Urteil in Deutschland gefällt worden, wo die Existenz der `Ndrangheta eingeräumt wurde – vom Amtsgericht in Konstanz.
Mühlhoff verwies auf die großen Herausforderungen für die Justiz, was personelle und finanzielle Ressourcen anbelangt. Allein für die Übersetzungskosten im Pollino-Verfahren sind bis heute
2,5 Millionen Euro aufgelaufen und 400.000 Seiten Papier beschrieben worden.

Oliver Huth, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und Chefermittler im Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, berichtete als Gewerkschafter über seine Erfahrungen im Kampf gegen die `Ndrangheta. Er war an der internationalen Polizeiaktion „Eureka“ beteiligt, bei der im Mai 2023 international mehr als 100 mutmaßliche `Ndranghetisti verhaftet worden sind – einer davon in Erfurt.
Wie schon in seiner Zeugenaussage im Thüringer Mafia-Untersuchungsausschuss richtete Huth den Blick auf das kalabrische Bergdorf San Luca, von dem aus (offenbar) die `Ndrangheta gesteuert wird – zumindest den kriminellen Familienbanden, die im Rahmen von „Eureka“ ins Visier der Ermittler*innen gerieten. Huth warnte davor, mittels Stereotype zu versuchen, Mafiosi zu erkennen. Das sei schlicht nicht möglich. Im Milieu dagegen würde es oft reichen, seinen Familiennamen zu nennen.

Von seinen Erlebnissen in San Luca berichtete im Anschluss David Klaubert, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Er war im Mai in Kalabrien, als die Operation „Eureka“ begann.
Seinen Vortrag ergänzte er mit Fotos vom Tag des Einsatzes.
Klaubert schilderte den Fall das Erfurter Wirtes, der – sind die Kriminalist*innen überzeugt – einen Kokain-Handel zwischen Ecuador und Australien organisiert haben soll. Dafür nutzte er offenbar ein Krypothandy, ein angeblich abhörsicheres Telefon, das ihm ein Komplize aus München brachte. Das Kokain selbst sollte sein Cousin in Australien entgegengenommen haben. Diese Anekdote zeige, wie vernetzt und wie eng mutmaßliche `Ndranghetisti zusammenarbeiten, so Klaubert. Ländergrenzen spielen dabei keine Rolle – die Blutsfamilie dagegen schon. Die sichert die `Ndrangheta nach außen ab. Verräter gibt es so kaum.

Nach einer kurzen Pause ging es um eine der größten Fehlstellen im Bezug zur Organisierten Kriminalität: die Forschung. Kaum ein Lehrstuhl beschäftigt sich mit der italienischen Mafia durchgängig. Ein großes „Manko“, hatte schon Oberstaatsanwalt Mühlhoff gewarnt, da eben nicht nur der Justiz, sondern auch der Politik eine fundierte Datenbasis fehlt, die zudem noch von Mythen über die Mafia verwässert wird.

Einer der wenigen Wissenschaftler ist Prof. Dr. Klaus von Lampe von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Der Kriminologe wurde zugeschaltet. Er berichtete von der Schwierigkeit, die Mafia wissenschaftlich zu erfassen und wie sich die Mafia-Organisationen in die kriminellen Milieus einfügen bzw. wie sie funktionieren. Die Forschung gestaltet sich schwierig, weil es wenige Kronzeugen gerade aus dem Familienverbund der `Ndrangheta gibt, die Einblick in Strukturen jenseits polizeilicher Ermittlungen geben können. Die Mafia agiert wie ein modernes Unternehmen. Auf dieser Grundlage versuchte sich Prof. von Lampe an einer Einordnung der Mafia-Organisationen im Rahmen krimineller Assoziationen.

Dr. Zora Hauser von der Universität in Oxford forscht seit Jahren als eine der wenigen zur `Ndrangheta in Deutschland. Dr. Hauser referierte bereits beim ersten Infotag „Mafia“. Damals hatten wir sie aus Kolumbien geschaltet. Dort folgte sie den Spuren des internationalen Kokain-Handels – ein „Geschäftsfeld“, in dem die `Ndrangheta eine wichtige Rolle spielt. Dr. Hauser kritisierte die Leerstellen in der deutschen Forschungslandschaft, die in erster Linie den Sicherheitsbehörden anzulasten ist.
Im Gegensatz zu Italien verweigern deutsche Behörden der Forschung den Zugang zu Daten und Akten. Selbst Statistiken werden oft als Geheiminformationen betrachtet und so der Forschung vorenthalten, schilderte Dr. Hauser ihre Erfahrungen. Selbst wenn sie Schweigeverpflichtungen angeboten hatte, führte oft kein Weg an wissenschaftsrelevante Unterlagen. Damit bleibe die Mafia kaum zu fassen bzw. das Wissen deutscher Sicherheitsbehörden über sie im Dunkeln, obwohl neben der Forschung ebenfalls Politik und Zivilgesellschaft von diesen Informationen abhängig sind, wenn sie sich sinnvoll und chancenreich der Mafia entgegenstellen wollen.

Den vierten und letzten Schwerpunkt des Symposiums füllten eine Expertin und ein Experte aus der Welt der Finanzermittlungen aus. Die Organisierte Kriminalität jongliert mit ungeheuer großen Summen. Millionen werden von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent transferiert. Aber auch im Kleinen versuchen kriminelle Milieus Geld am Fiskus vorbei zu schleusen oder über ein Netzwerk von Firmen und Scheinfirmen Geld zu waschen.

Die Steuerfahnderin Birgit E. Orths aus Nordrhein-Westfalen hat über ihre Erfahrungen ein ganzes Buch geschrieben. Sie berichtete von großen Personalnöten in den Behörden, von engagierten Ermittler*innen, die dem Staat Millionen von veruntreuten Einnahmen verhelfen und dennoch belächelt werden.
Sie berichtete von den Möglichkeiten, die der Steuerfahndung an die Hand gegeben wurden, aber kaum bekannt sind oder von denen nur wenig Gebrauch gemacht wird, weil schlicht die Fahnder*innen fehlen.

Auch der Zoll ist bei der Bekämpfung organisierter Strukturen beteiligt. Das weiß nur kaum jemand, erklärte Bernhard Pohlmann. Er ist beim Hauptzollamt Erfurt für die Schwarzarbeit zuständig.
In diesem Bereich werden Millionen gemacht – ebenso von der Organisierten Kriminalität.
Dabei werden die Gangster immer cleverer und skrupelloser: Für kleines Geld werden Außenstehende zu Geschäftsführern von nichtexistierenden Firmen, um Scheinrechnungen ausstellen zu können. Detailliert erklärte Pohlmann wie ein solches Konstrukt funktionierte, das das Hauptzollamt Erfurt in Thüringen und Bayern entdeckte und schließlich zerschlug. Hier konnten hohe Beträge sichergestellt werden.
Der Großteil der Beute an vorenthaltenen Steuern und Abgaben konnte jedoch bis heute nicht sichergestellt werden.

Am späten Nachmittag ging ein interessanter und voller 2. Infotag „Mafia“ mit einem Get-Together zu Ende. Und selbst hier wurden noch Fachgespräche geführt und Kontaktdaten ausgetauscht. Genau dafür ist unser Infotag gedacht: interessierte und verantwortliche Menschen zusammenzubringen, um so den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität, gegen die Mafia, die `Ndrangheta, voranzutreiben.
Die Zivilgesellschaft braucht Wissen, ebenso wie die Justiz und die Forschung. So kann die antidemokratische, den freien Markt zerstörende Mafia wirklich bekämpft werden – von der gesamten Gesellschaft.