Demokratie und Rechtsstaat brauchen eine starke Grundlage. Unser Grundgesetz bietet sie. Aber das allein genügt nicht. Demokratie und Rechtsstaat müssen geschützt und verteidigt werden. Dazu ist grundsätzlich jede und jeder von uns aufgerufen. Doch die Polizei als sichtbarer Arm des staatlichen Gewaltmonopols ist in besonderer Weise Hüterin und Verteidigerin von Rechtsstaat und Demokratie.
Alle Menschen sollen der Polizei vertrauen können. Dafür ist es unabdingbar, dass sich Polizeibeamt*innen selbst immer an Recht und Gesetz halten und nicht korrupt, willkürlich, selbstgerecht oder diskriminierend handeln. Die Polizeibeamt*innen sollen „sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten“ und „haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben.“ (§ 60 BBG).
Dieses Vertrauen in die Polizei ist eine Grundbedingung für die breite Akzeptanz des funktionierenden Rechtsstaats, der wehrhaften Demokratie.
Verfassungsfeindliche oder rechtsextreme Vorfälle in der Polizei wie in den letzten Monaten zum Beispiel in Hessen (rechtsextreme Chatgruppe unter fünf Polizist*innen), Sachsen (Polizeischüler, der wegen anhaltendem Rassismus im Dienstalltag die Ausbildung abbrach), Rheinland-Pfalz und Sachsen (Polizeibeamte, die als „Reichsbürger“ die Existenz und verfassungsrechtliche Ordnung Deutschlands in Abrede stellen) erschüttern dieses Vertrauen. Sie sind äußerst alarmierend und müssen konsequent aufgearbeitet und straf- und disziplinarrechtlich verfolgt werden.
Angesichts der besonderen Bedeutung der Polizei für Demokratie und Rechtsstaat sind die Aufarbeitung von Fehlern, strafbarem Verhalten und strukturellen Mängeln besonders wichtig. Vertuschen, verschleppen oder verharmlosen aus vermeintlichem Corpsgeist innerhalb der Polizei oder falsch verstandener Solidarität mit der Polizei von Seiten der Politik darf es nicht geben.
Folgende fünf Punkte hat die Rechtsextremismuskommission der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erarbeitet. Diese können dazu beitragen, Rechtsextremismus und Verfassungsfeindlichkeit in der Polizei keinen Raum zu lassen und dort, wo Prävention leider zu spät kommt, diese Vorfälle konsequent aufzuarbeiten:
- Für eine vielfältige Polizei als Spiegel der Gesellschaft
Die Polizei sollte ein Spiegel der Gesellschaft sein. Genau wie alle anderen Menschen auch können sich Polizist*innen von Vorurteilen nicht gänzlich freimachen. Aber in einer diversen Polizei, in der Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte und andere marginalisierte Gesellschaftsgruppen ganz selbstverständlich dazugehören, haben Rechtsextremismus, Rassismus, Sexismus und die Diskriminierung von Minderheiten einen schwereren Stand. Da einige gesellschaftlichen Gruppen bislang in der Polizei unterrepräsentiert sind, sollte für den Polizeidienst bewusst auch mit Blick auf diese Menschen geworben werden. Alle Beschäftigten sollten außerdem im Rahmen der Polizeilaufbahn optimal gefördert werden.
Klar muss sein: Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit haben bei der Polizei auch gegenüber Kolleg*innen keinen Raum. Hier kommt es auch auf das Bild in der Öffentlichkeit an, denn schon ein Verdacht in dieser Richtung macht die Polizei als Arbeitgeberin für Betroffene mehr als unattraktiv. Schließlich ist es auch intern Aufgabe der Polizei gegen Rassismus einzustehen. Es reicht daher nicht, diskriminierendes Verhalten wie racial profiling im Rahmen polizeilicher Maßnahmen auszuschließen. Die Polizei muss auch intern aktiv werden, damit rassistische Stereotype keine Rolle spielen.
- Eine Ansprechperson für Probleme in der Polizei
Die Polizei ist Ansprechpartnerin für die Bevölkerung, wenn es irgendwo schief läuft. Doch den Polizeibeamt*innen selbst fehlt die Ansprechperson, wenn es innerhalb der Polizei zu verfassungsfeindlichen oder rechtsextremen Vorfällen kommt. Deshalb braucht es für die Polizeien der Länder und des Bundes eine Ansprechperson außerhalb der Behördenhierarchie.
Zum Selbstverständnis einer modernen Verwaltung gehört das Bewusstsein, dass externe unabhängige Kontrolle wichtig ist. Angesichts der besonderen Bedeutung der Polizei im rechtsstaatlichen Gefüge und im Sinne einer professionell, effektiv und rechtsstaatlich arbeitenden Behörde sind die Aufarbeitung von Fehlern, rechtswidrigem Verhalten und strukturellen Mängeln besonders wichtig. Entsprechende Institutionen sind daher gerade im polizeilichen Bereich in vielen europäischen und außereuropäischen Staaten bereits üblich.
Auf Landesebene braucht es unabhängigen Vertrauenspersonen mit Kontrollfunktion. In Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg gibt es bereits unabhängige Stellen, die den Bürgerinnen und Bürgern aber auch den Beschäftigten der Landespolizeien bei Sachverhalten mit Polizeibezug als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Auch in Berlin und Hessen gibt es konkrete Bestrebungen, solche Stellen zu schaffen.
Auf Bundesebene soll ein/e Bundespolizeibeauftragte/r nicht nur Eingaben von Bürger*innen, sondern auch von Polizist*innen zu möglichem Fehlverhalten Einzelner oder Gruppen innerhalb der Polizei entgegennehmen und prüfen können.
- Forschung und Überblick zu Rechtsextremismus und Rassismus innerhalb der Polizei
Es gibt viele Diskussionen, aber zu wenige Zahlen über verfassungsfeindliches und rechtsextremes Verhalten innerhalb der Polizei. Valide Forschungen über politische Einstellungsmuster oder Rassismus innerhalb der Polizei (zum Beispiel im Zusammenhang mit racial profiling oder dem NSU) gibt es kaum.
Die systematische Aufarbeitung von Fehlern, Fehlentwicklungen und Problemen setzt aber eine genaue Kenntnis dieser voraus. Um überhaupt eine belastbare Datengrundlage zur Verfügung zu haben, ist es daher unabdingbar, dass sich die Innenministerkonferenz auf eine regelmäßige Länderabfrage über verfassungsfeindliche und rechtsextreme Vorfälle innerhalb der Polizeibehörden verständigt.
In Deutschland ist außerdem ein unabhängiger wissenschaftlicher Blick auf die Polizei selten. Auch der Polizei muss es daher von den Innenministern gestattet sein, sich für die Forschung zu öffnen. Entsprechende Projekte der Hochschule der Polizei sind ein guter erster Schritt.
- Für eine kritische Analyse der Polizei und wissenschaftliche Beratung
Zur Förderung der demokratischen Kultur innerhalb unserer Gesellschaft sollte ein wissenschaftsbasiertes Demokratiezentrum eingerichtet werden, das mit der Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammenarbeitet, gemeinsame Forschungsprojekte entwickelt und realisiert und staatliche Institutionen wie die Polizei berät.
Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit stören den gesellschaftlichen Frieden und sind eine Gefahr für die Demokratie. Deswegen sollen diese Themenbereiche die Schwerpunkte der Arbeit des Zentrums darstellen. Vorbild für ein solches Demokratiezentrum ist das bereits seit 2016 bestehende, außeruniversitäre „Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft – Thüringer Dokumentations- und Forschungsstelle gegen Menschenfeindlichkeit“ (IDZ) in Jena.
Das Demokratiezentrum soll bundesweit arbeiten, denn rechtsextreme Netzwerke machen nicht an Landesgrenzen Halt. Daher ist eine Analyse der Vernetzungsstrukturen erforderlich, um Zusammenhänge, Dynamiken und Gefahren richtig lesen zu können.
- Die Polizei als Bürger*innen-Polizei
Ein (selbst-)kritisches Binnenklima in der Polizei -weg von der Polizei als Null-Fehler-Institution hin zu einer Kultur der Bürger*innen-Polizei- setzt ein besonderes Bewusstsein und vertiefte Kenntnisse über das Recht, Rechtsstaatsprinzipien sowie Grund- und Menschenrechte, einschließlich des Umgangs mit Sexismus und geschlechtsspezifischer Gewalt, voraus. Diese Inhalte sollten in verstärktem Maße Teil einer praxisorientierten Aus- und Weiterbildung sein, die auch intern dazu ermächtigt, Standpunkte zu entwickeln und gegenüber Kolleg*innen und Vorgesetzten zu vertreten. Die Institutionalisierung von Mitarbeiter*innen-Vorgesetzten-Gesprächen und von Supervision sowie verbindliche Trainings zur Steigerung der Diversity- und Kommunikationskompetenz können dazu beitragen, dass sich gefühlte Ungerechtigkeiten, Ohnmachtssituationen und stereotype Gedankenansätze nicht manifestieren können.
Auch eine gezielte Werbung der Polizei um Menschen mit anderen Berufshintergründen kann zu einem veränderten Binnenklima beitragen. Soziolog*innen, Politikwissenschaftler*innen, Polizeiwissenschaftler*innen u.a. können in die Polizei neue Perspektiven einbringen und so die Analysefähigkeit der Polizei erweitern. Die Perspektivenerweiterung bei der Polizei kann gefördert werden, indem offizielle Bildungsabschlüsse von Polizeibeamt*innen, die sie neben ihrer dienstlichen Tätigkeit eigeninitiativ erworben haben, für die Laufbahn oder die interne Besetzung von Stellen anerkannt werden.
Die Polizei sollte in ihrem hohen Anspruch an sich selbst in Sachen Rechtstaatlichkeit bestärkt werden. Stattdessen werden von Seiten der Innenpolitik aber leider noch zu stark Strukturen erhalten, in denen Probleme eher unter den Teppich gekehrt als angegangen werden. Jede einzelne Polizistin und jeder einzelne Polizist sollte darin gestärkt werden, sich bei diesen Fragen selbst mit einzubringen. Das wäre ein echter Beitrag zum Schutz der wehrhaften Demokratie und für das Funktionieren des Rechtstaats.