Heute haben Innenpolitiker*innen von Bündnis 90/Die Grünen aus Bund und Ländern die Studie
„Politisch motivierte Kriminalität und Hasskriminalität. Das polizeiliche Definitionssystem. Wissenschaftliche Begutachtung und Vorschläge für die Weiterentwicklung“ im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt. Dr. Britta Schellenberg von der LMU München ist Autorin der Studie.
Seit Jahren gibt es anhaltende Kritik an dem Kriminalpolizeilichen Meldedienst – Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) aufgrund seiner unzureichenden Erfassung von rechten, rassistischen oder antisemitischen Straftaten. Insbesondere im Abgleich mit Dunkelfeldstudien zu vorurteilsmotivierter Kriminalität muss von einer millionenfachen Unterdeckung der Fallzahlen in der PMK ausgegangen werden. Der aktuell größte Phänomenbereich „nicht zuzuordnen“ ist in den vergangenen Jahren in den Fallzahlen massiv angewachsen. Dadurch verliert der Meldedienst an Aussagekraft, da einerseits die vorliegenden Zahlen nicht mehr zielführend in Relation gesetzt werden können und andererseits vorurteilsmotivierte Straftaten ohne klaren Phänomenbereich oder unbekannte Motivationslagen vermischt werden mit einer hohen Anzahl an Straftaten aus dem Reichsbürger*innen- und Pandemieleugner*innenspektrum. Besonders aus der Zivilgesellschaft wurde daher Handlungsbedarf einer wissenschaftlichen Weiterentwicklung des Meldedienstes angemahnt, um verlässlich Auskunft über die Entwicklung rechter und vorurteilsmotivierter Straftaten geben zu können.
Wir wollen den Meldedienst zur Erfassung von politisch motivierter Kriminalität weiterentwickeln.
Im Fokus sollen die Betroffenenperspektive und damit zusammenhängend die Erfassung der Tatmotive stehen. Damit schärfen wir die Analyse von Vorurteilskriminalität und erfassen die Straftaten besser, um sie schneller zur Anklage zu bringen. Hierzu ist es nötig, das Erfassungssystem mit dem der Justiz zu harmonisieren. Auch die Aussagekraft für Angriffe auf demokratisch Engagierte, Amts- und Mandatsträger*innen soll erhöht werden.
Dazu erklärt Irene Mihalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag: „Die präzise Erfassung von politisch motivierten Straftaten ist unerlässlich, um aussagekräftige Statistiken als Grundlage für die Arbeit der Sicherheitsbehörden, politischen Entscheidungsträger*innen und Wissenschaft zu schaffen. Es ist unbefriedigend, dass die allermeisten Straftaten keinem Phänomenbereich zugeordnet werden können. Auch, dass zum Beispiel antisemitische Straftaten bei unklaren Hintergründen, kategorisch als rechts eingeordnet werden, führt zu einer Verzerrung der Statistik. Daher müssen wir die Systematik des Themenfeldkatalogs und der Kategorisierung grundlegend überarbeiten.“
Madeleine Henfling, Parlamentarische Geschäftsführerin und innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Thüringer Landtag, ergänzt: „Nach bekannter Dunkelfeldforschung müssen wir von knapp einer Millionen Fälle an vorurteilsmotivierter Gewaltkriminalität ausgehen, während das BKA nur tausende Fälle feststellt. Beratungsstellen berichten, dass nur jede fünfte Vorurteilskriminalität bekannt wird, zahlreiche Fälle nicht als solche eingestuft werden und deshalb nicht so ausermittelt werden, dass sie auch strafverschärfend nach § 46 Abs. 2 StGB gewürdigt werden können.
Zudem werden Betroffene immer wieder auf den Privatklageweg verwiesen, ohne dabei unterstützt zu werden. Daher wollen wir die Vorurteilskriminalität in den Mittelpunkt stellen. Die Betroffenen müssen mit ihren Erfahrungen ernstgenommen werden. Statt wirrer Kategorien wie ‚Männerfeindlichkeit‘, bräuchte es beispielsweise auch ‚Sozialdarwinismus‘ als Vorurteilsmotivation.“
Sina Imhof, Innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Hamburg: „Das Thema Vorurteils- und Hasskriminalität muss systematisch in der Aus- und Fortbildung der Polizeibeamt*innen behandelt werden. Außerdem fordern wir für die trennscharfe Erfassung klare Kriterien was unter die Vorurteilskriminalität fällt. Die alten Kategorien der KPMD-PMK passen nicht zu den neuen demokratiegefährdenden Bestrebungen in unserer Gesellschaft und wir müssen den Blick unserer Beamt*innen hierfür schärfen. Es müssen präzise polizeiliche Lagebilder erstellt werden, betroffene marginalisierte Gruppen klar benannt und deren Perspektive in der polizeilichen Bewertung und Erfassung mitbedacht werden. Wenn wir unsere Demokratie verteidigen wollen, müssen wir die Statistik über Vorurteilskriminalität im Alltag der Polizist*innen besser handhabbar machen.“
Florian Siekmann, Sprecher für Inneres der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayrischen Landtag, erklärt abschließend: „Wir stellen den Meldedienst auf Demokratiegefährdung um, denn darum sollte es gehen. Wir holen die Betroffenen in den Mittelpunkt, Übergriffe auf Amts- und Mandatsträger*innen und Ehrenamtliche wollen wir gesondert erfassen. Sie setzen sich tagtäglich für unsere Demokratie ein und sollten in einer Statistik für Demokratiegefährdung erfasst werden. Die Tatmotivationen müssen auch aus Sicht der Betroffenen eingeordnete werden. Das alte links-rechts Schema reicht zur Beschreibung der Tatmotivation schon lange nicht mehr aus und verbirgt demokratiegefährdende Entwicklungen mehr, als dass es sie aufdeckt. Unser Ziel ist außerdem eine Angleichung der Erfassung in der Justiz und bei der Polizei. Perspektivisch müssen wir ein einheitliches System einrichten, das von einer reinen Eingangsstatistik in eine echte Verlaufsstatistik von der Anzeige bis zum Urteil mündet.“
Die Studie finden Sie hier: https://www.gruene-thl.de/node/8583