Am Samstag, dem 24. September 2022, besuchte der Autor Daniel Schulz auf Einladung des Ilmenauer Bündnisses für Demokratie und Weltoffenheit unsere Stadt, um aus seinem Roman „Wir waren wie Brüder“ in der St. Jakobus Kirche vor vorzulesen.
Gemeinsam mit Moderatorin Madeleine Henfling (MdL Bündnis 90/Die Grünen) sprach Daniel Schulz über persönliche Erfahrungen mit der Bedrohung durch Rechtsextreme während der Wende und Nachwendezeit als auch über den Prozess des Schreibens als Form der starken Auseinandersetzung mit eigenen Jugenderfahrungen.
Den Einstieg bildete eine Debatte über die Sprache und harte, teils stark rassistische Ausdrucksweise, welche Schulz seine Protagonist*innen verwenden lässt. Diese Sprache ist in vielen Kreisen nicht mehr geläufig, aber beim Lesen werden Erinnerungen wieder aufgewühlt und offenbaren, dass sie vertrauter sind, als es zunächst den Anschein hat und wir uns vielleicht auch erhoffen. Diese Vertrautheit wollte Schulz ganz bewusst erzeugen, indem er seine Protagonist*innen so sprechen lässt, wie es in vielen ländlichen Bereichen des Ostens während der Wendezeit üblich war und teils noch immer ist.
Beim Schreibprozess empfand Schulz das (Wieder)Erwachen einer tiefgehenden Wut. Vor allem die Demütigungserfahrungen durch das Ausleben rechtsextremen und menschenverachtenden Gedankengutes und das teilweise Fehlen an Zivilcourage aus seiner Jugend kamen wieder zu Tage.
Nicht nur Schulz verarbeitet seine Erfahrungen mühsam, sondern auch Menschen die rechtsextreme Vorfälle aus zweiter Hand miterlebten. So schrieben Schulz einige Frauen an, deren Brüder von Neonazis misshandelt wurden, ohne dass sie eingreifen und sie beschützen konnten. Zu dieser Zeit fühlten sie sich sehr ohnmächtig und machtlos, da sie selbst nicht in der Lage waren zu handeln. „Wir waren wie Brüder“ ist zwar autobiografisch geschrieben, Schulz hatte trotzdem den Anspruch die Geschichte universell zu schreiben, sodass sich viele Menschen damit identifizieren können.
Ein weiterer wichtiger, in der Diskussion herausgearbeiteter Debattenstrang stellte dar, dass Menschen, welche von Neonazis misshandelt wurden, häufig nicht geglaubt wurden oder manche Vorfälle als Banalität und Rauferei unter Jugendlichen abgetan wurden. So berichtet Schulz davon, dass, wenn Betroffene mit ihren Eltern über das Erlebte sprachen, diese nichts von den ganzen Vorkommnissen mitbekommen haben wollen. Häufig wurde den Diskriminierten nicht geglaubt, dass das Kind vom Nachbar oder Bekannten ein Neonazi sei und andere Menschen verprügelte und bedrohte.
Dieses Phänomen kam vor allem im ländlichen Raum vor, da dort eine seltsame Nähe von Diskriminierten und Diskriminierenden herrschte. Diskriminierte und Diskriminierende begegneten sich auf Grillpartys und Familienfesten. Auch innerhalb des Romans bestehen in der Gruppe eine gewisse Wärme und Verständnis. „Nähe macht eine kritische Auseinandersetzung schwierig.“, so Schulz.
Eine Auseinandersetzung mit dem Thema ist vor allem aufgrund des aktuellen immer weiter voranschreitenden Rechtsrucks weiter von hoher Bedeutung. Es ist zu konstatieren, dass die Nachwirkungen der zu geringen Aufarbeitung der #Baseballschlägerjahre bis in die Gegenwart nachwirkt.
Neonazis haben häufig die Erfahrung gemacht, mit ihrem Verhalten und Aktionen straffrei davon zu kommen und mit ihren Demonstrationen auch politische Erfolge zu verzeichnen, so z.B. mit der Verschärfung des Asylrechts nach den Pogromen in Rostock. Diese Entwicklungen zeigen sich auch in der heutigen Zeit, bspw. durch die rechtsextrem konnotierten „Querdenker- und Montagsdemonstrationen“.
Für eine gut aufgestellte Zivilgesellschaft ist es wichtig, alternative Räume bereitzustellen, vor allem da, wo seitens von Neonazis eine gewisse kulturelle und politische Hegemonie vorherrscht
Zur dringenden Frage, was eine Stadtgesellschaft gegen den voranschreitenden Rechtsruck ausrichten kann, empfiehlt Schulz eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Thematik, die über klassische antifaschistische Kreise hinausreiche und auch das konservative Lager mit in die Pflicht nimmt.
Des Weiteren empfahl er, mit zivilen Organisationen und Institutionen zu sprechen und sich klar von rechts abzugrenzen. Antifaschistische, demokratiesichernde politische Arbeit müsse konsequent und ohne Hindernisse zugelassen werden. Wer heute die Auseinandersetzung scheue, werde es langfristig viel schwerer haben rechte Strukturen vor Ort aufzubrechen.
Das Ilmenauer Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit bedankt sich ausdrücklich bei der St. Jakobusgemeinde für die Bereitstellung der Räumlichkeit und bei der Lokalen Partnerschaft für Demokratie im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie Leben und Denk bunt für die finanzielle Unterstützung.