Veranstaltung

„Wir sind keine Döner, wir sind Menschen“

10 Jahre Selbstenttarnung des NSU in Eisenach und die Opferperspektive der Hinterbliebenen

Am 4.November 2021 jährte sich zum 10. Mal die Selbstenttarnung des NSU in Eisenach.

Ich begleitet zusammen mit Katharina König-Preuss, Semiya Şimşek nach Eisenach-Stregda, wo sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 in einem Wohnmobil umbrachten. Bei einer Kundgebung mit der Eisenacher Zivilgesellschaft und der dortigen Antifa erinnerten wir an die zehn Opfer des „National Sozialistischen Untergrunds.“  

Danach ging es zur Podiumsdiskussion ins Eisenacher Bürgerhaus wo Anne Tahirovic vom IDZ mit Katharina und Semiya unteranderem über Gedenken, Erinnern, die Perspektive der Hinterbliebenen der Mordopfer und Gerechtigkeit sprach.

Wenn Semiya so zurückschaut muss sie bei dem Wort Gerechtigkeit nur noch lachen. Zumindest für sie gibt es keine juristische Gerechtigkeit mehr. Sie hat immer noch dieselben Fragen wie vor zehn Jahren und hatte das permanente Gefühl bei der Aufklärung gegen eine Wand zu stoßen. Für sie müssen sich gesetzliche Grundlagen ändern, damit auf staatlicher Ebene eine „lückenlose Aufklärung“ möglich gemacht werden kann. Wenn Akten Jahrzenhte lang unter Verschluss gehalten werden oder nur geschwärzt veröffentlicht werden, kann eine richtige Aufklärung nie stattfinden.

Wurde die Thematik des institutionellen Rassismus angesprochen, dann denkt Semiya vor allem an das Vorgehen der Polizei mit den Hinterbliebenen der Mordopfer. Semiyas Mutter kochte zunächst noch für die Polizeibeamten, da diese den langen Weg von Wiesbaden „auf sich nahmen“. Doch in ihrer Aufklärungsarbeit hatte die Polizei ein sehr eingeschränktes Bild des Opfers und seiner sozialen Umgebung und ermittelte vor allem in den Kreisen der Hinterbliebenen und beschuldigte Semiyas Vater des Drogenhandels oder des Ehebruchs und sorgte somit für Misstrauen innerhalb der Familienmitglieder. Bis jetzt haben sich die Beamten für ihr Vorgehen bei den Ermittlungen nie entschuldigt. Was dieser Rassismus und Misstrauen mit der Psyche der Hinterbliebenen angerichtet haben muss, kann man sich nur schwer vorstellen.  

Podiumsdiskussion mit Anne Tahirovic, Katharina König-Preuss und Semiya Simsek in Eisenach

Semiya erinnert sich täglich an ihren Vater. Vor allem bei Kleinigkeiten wie einem Snickers, dann denkt sie daran, wie ihr Vater immer einen Riegel für sie kaufte, wenn sie mit ihm unterwegs war.  

Jedoch ist auch eine positive Entwicklung im Bereich des Empowerments für Opfer und in der medialen Berichterstattung bei terroristischen Attentaten zu beobachten. Vor allem die Medien haben eine gewisse Sensibilität für das Wording und Framing bei ihrer Berichterstattung entwickelt. Auch die Opfer und Hinterbliebenen haben ihre Lehren aus den NSU-Morden gezogen und betonen nun deutlicher die Opferperspektive und dränge damit den Täter aus dem medialen Licht.  

Am Ende des Abends plädiert Semiya vor allem für eine gesellschaftliche Aufarbeitung des NSU, bei der sich jeder Bürger und jede Bürgerin gegen rechts positionieren soll. Zudem fordert sie Bildungsarbeit gegen rechts in Kindergärten und Schulen zu bringen und diese im Lehrplan zu verankern. Denn nur eine gleichgütige Gesellschaft bringt eine rassistische Gesellschaft hervor.